Einer für alle, alle für einen

Einer für alle, alle für einen

täglicher "Ständerling" der OT´s morgens zur Frühstückszeit
täglicher „Ständerling“ der OT´s morgens zur Frühstückszeit

Jahr für Jahr finden im Waldheim Lindental die Sommerfreizeiten der Evangelischen Kirchen in Weilimdorf statt – in diesem Jahr werden binnen vier Wochen 550 Kinder betreut: Harte – aber ein Leben prägende Arbeit für die Betreuer, von den Kindern vor langer Zeit einmal liebvoll „OTs“ (Onkel und Tanten) getauft.

In diesem Jahr sind es 69 OT´s, bzw. Jugendliche – und Jungebliebene – im Altern von 16 bis 36 Jahre, im Schnitt sind sie etwa 25 Jahre alt. Und vielfach waren sie schon selber als Kinder im Waldheim. Timo Schmidt (24), in diesem Jahr ein „Leitungs-OT“, ist bereits zum zwölften Mal als Betreuer dabei – in sieben Jahren. „Das bekommt man hin, wenn man in fünf Sommern beide Freizeiten mitmacht und nicht nur eine dabei ist!“, schmunzelt Timo. Wer schnell nachrechnet erkennt, dass manch ein OT durchaus seinen Jahresurlaub hergibt, um „dabei sein zu können“.

Dabei ist die Arbeit als OT kein Zuckerschlecken bzw. absolut kein Strandurlaub: Gegen 7 Uhr geht es für die OT´s, die in Zelten auf dem Gelände im Lindenbachtal übernachten, raus aus den Federn – um 8 Uhr treffen die Kinder, die sie den Tag über in 21 Gruppen betreuen, mit Laufgruppen bzw. dem Bus ein. Nach dem gemeinsamen Frühstück mit den Kindern folgt (in diesem Jahr) das tägliche „Theater“ mit einer Zeitreisenvorstellung für die Kinder. Zuvor gibt´s beim „Ständerling“ der OT´s ein paar Minuten, um sich über aktuelle Änderungen zum Tagesprogramm auszutauschen: Denn den ganzen Vormittag über betreuen die OT´s die Kinder mit einem „langen“ Gruppenprogramm, sei es mit handwerklichen „Beschäftigungsmaßnahmen“ (wie z.B. Batiken), sportlichen Parkours, einer Olympiade, aber auch mit Ausflügen in die Umgebung (wie z.B. zur „Räuberburg“, zum Hasenbrünnele zum „Siedlerspiel“, ins Maislabyrinth nach Ditzingen, in ein Frei- oder Hallenbad, oder auch mal in die Stuttgarter Innenstadt für das beliebte „Mister X“ Spiel). Erst nach dem Mittagessen besteht für einige OT´s das erste mal seit dem Morgen die Möglichkeit, zusammen mit einigen Kindern, die sich ausruhen wollen, die Füße für einige Momente hochzulegen. „Generell ist die Mittagspause der Moment um ein wenig durchzuschnaufen“, so Timo – es wird ruhig auf dem Gelände, mehr als ein paar Brettspiele oder andere Tischangebote sind nicht vorgesehen. Es folgt das „kleine“ Gruppenprogramm am Nachmittag, im Anschluss mischen sich die Gruppenkinder in „Neigungsgruppen“, sei es zum Basteln, spielen oder auch Theaterstücke einüben. „Die älteren Kinder nehmen hier vielfach die jüngeren bei der Hand, da wird wohl eine wenig der Behüterinstinkt geweckt!“, erzählt Timo. Bevor die Kinder gegen 18 Uhr den Heimweg antreten, wird gemeinsam noch gevespert – und kehrt Ruhe auf dem Gelände ein, wird dies von den OT´s ausnahmslos zum „abschalten“ und entspannen genutzt – rund zwölf Stunden Kinderprogramm können schlauchen. Bevor allerdings die Privatsphäre greift, wird noch das Gelände aufgeräumt, Aktionen und Programmpunkte für den nächsten Tag besprochen – und gegen 22 Uhr fällt „Mann wie Frau“ ziemlich erledigt, aber zufrieden mit dem Tagewerk, in die Schlafsäcke. „Die Nacht durchmachen ist nicht – wir sind abends einfach fix und fertig! Ein paar Gespräche beim gemütlichen Zusammensitzen bekommen wir schon hin, aber alles andere sind Gerüchte“, grinst Timo.

Doch was bewegt junge Menschen, sich für noch jüngere Menschen derart einzubringen, um nicht zu sagen „aufzuopfern“? Denn es sind ja nicht nur die Freizeiten selber, die ein OT „durchzieht“: Hinzu kommen drei pädagogische Wochenenden im Jahr (im Oktober die Nachbetrachtung, im April eine pädagogische Weiterbildung und im Juni die Ausarbeitung des Programms, die Bildung der Gruppenzugehörigkeit und allgemeine Arbeitsverteilung). „Unter dem Jahr gehen uns die Freizeiten eigentlich auch nicht aus dem Kopf“, überlegt Timo – denn immer wieder sprudeln neue Ideen (wie bei ihm die Entwicklung der diesjährigen Theateraufführungen). Auch die körperliche Anstrengung für die OT´s während der Freizeiten machen nicht den Reiz aus – wenn das Waldheim endet, sind sie zwar „körperlich geschafft“, aber mit einer unglaublichen inneren Ausgeglichenheit versehen. Die Ursache für die Begeisterung der Arbeit als OT liegt im Menschlichen: „Einer für alle, alle für einen – so muss man das sehen“, sinniert Timo: „Es ist diese faszinierende Harmonie, die uns bei der Arbeit verbindet, wir bilden ein eingeschworenes Team.“ Auch übertrage sich die Unbeschwertheit der Kinder auf die OTs – man habe das Gefühl, dass Kopf, Geist und Seele „gereinigt“ werden: „das ist für den Körper wohl die beste Erholung die es geben kann!“ – zumal es auch kein Fernsehen, keine Zeitung, kaum Kontakt zur Außenwelt hat. Selbst die Mobiltelefone sind aus, nur für Ausflüge werden sie als „Notanker“ aktiviert, um bei Bedarf das Leitungsteam im Waldheim erreichen zu können. Man lebt während der Freizeit in einer eigenen Welt.

Die innere Ausgeglichenheit strahlt bereits während der Freizeit aus jedem Gesicht der OT´s (siehe Fotos): mit fröhlicher Ruhe und Gelassenheit reagiert man auf die Bedürfnisse der Kinder, unterstützt, hilft – leitet an. In der Ruhe liegt die Kraft: „OT sein, das prägt einem das ganze Leben!“, versichert Timo. Ehemaligentreffen sind inzwischen auch üblich, das letzte fand am 25. Juni auf dem Waldheimgelände statt, bei dem 36 „Alt-OTs“ nach rund 50 Jahren wieder zusammenkamen und das Gefühl hatten, ihre OT-Zeit „sei doch erst gestern gewesen“. In ein paar Jahrzehnten werden auch die jetztigen OT´s wohl darüber sinnieren, wo die Zeit geblieben ist.

Die Fotos von oben nach unten zeigen folgende ehrenamtliche OT´s im Waldheim Lindental:

Text & Fotos: Hans-Martin Goede