Bei Wikipedia ist nachzulesen: „Als fünfte Jahreszeit wird ein mehrere Tage bis Wochen andauernder Zeitraum bezeichnet, in dem ein Ereignis stattfindet, das den Lebensrhythmus vieler Menschen so stark beeinflusst, wie es sonst nur der Wechsel der vier Jahreszeiten tut.“ Dies mag bei vielen Assoziationen mit dem Fasching auslösen – in Weilimdorf hingegen eher eine Verbindung zum Ferienwaldheim Lindental.
Ferienbetreuung seit mehr als 70 Jahren
Seit mehr als 70 Jahren ist das Evangelische Ferienwaldheim im Lindental „die Institution“ im Stadtbezirk, wenn es um die Kinderferienbetreuung in Weilimdorf geht. Wer nicht selber schon einmal als Kind dort war, war später meist als Helfer in der Küche dabei – oder als Krönung der „Waldheimlaufbahn“ als „OT“, ein „Onkel & Tante“.
Und gerade diese Tätigkeit erfordert eine Aufopferungsbereitschaft, deren Ruf Jahr für Jahr mehr als 100 Jugendliche erliegen, nur um die Kinder an Weilimdorfs Stadtrand in den Sommerferien betreuen zu können. „Für die meisten von uns ist das OT-Sein die fünfte Jahreszeit!“, schmunzelt Sven, einer der leitenden OTs in 2019. Denn das Waldheim ist eindeutig ein „mehrere Tage bis Wochen andauernder Zeitraum, in dem ein Ereignis stattfindet, das den Lebensrhythmus stark beeinflusst“: Viele des Teams nehmen für die Betreuungsaufgabe ihren gesamten Jahresurlaub, einige sogar noch bis zu zwei Wochen unbezahlten Sonderurlaub extra, den die meisten Arbeitgeber im Rahmen „sozialer Projekte“ auch problemlos bewilligen. Doch das reicht lediglich für die „fünfte Jahreszeit“ in den Sommerferien, im Vorfeld gibt es weit mehr zu tun und zu erledigen, was rein ehrenamtlich in der eigenen Freizeit erledigt wird.
Vorbereitungen starten bereits zehn Monate vor den Freizeiten
Kaum dass die Sommerfreizeiten im August zu Ende sind, treffen sich die OTs Ende September bereits für ein erstes „Refelexionswochenende“, bei dem es einen Rückblick auf die vergangenen Freizeiten gibt, die Wahl der neuen LTs ansteht und Ideensammlung für Aktionen in den Freizeiten im kommenden Jahr zusammengetragen werden. Das „RaWo“ dient Anfang des Jahres dazu, Kleinthemen auszuarbeiten. Alle zwei Monate trifft sich weiterhin der „Waldheim-Rat“, um die festgelegten Themen Stück für Stück weiter auszuarbeiten, bevor zur Osterzeit beim „AprilWo“ an drei Tagen alle OTs der kommenden Sommerfreizeiten neuerlich zusammen kommen, um den geplanten Tagesablauf zu diskutieren und neue Inhalte so weit zu entwickeln, dass die Vorbereitungen (wie z.B. das Besorgen von Material) anlaufen können. Es werden Neigungs- und Arbeitsgruppen für die kommenden Wochen gebildet sowie neue Spiele getestet. Im April diesen Jahres waren die OTs für diesen Zweck für drei Tage am Breitenauer See. „Letztlich sind etwa 70 Prozent der Angebote jedes Jahr relativ gleich oder ähnlich, aber etwa 30 Prozent sind komplett neu“, so Sven und Philipp vom LT Team.
Warmwerden in der Aufbauwoche
In der ersten Sommerferienwoche zeigt es sich dann, ob die monatelangen Vorbereitungen erfolgreich waren: die „Aufbauwoche“ ist die Woche vor der ersten Freizeit (heuer vom 05. bis 16. August, die zweite Freizeit geht vom 19. bis 30. August 2019), in der von Montag bis Freitag täglich bis zu 20 der in diesem Jahr 110 OTs gleichzeitig auf dem Gelände sind, um dies für die Kinder vorzubereiten.
Die Zeltstadt der OTs, die auf dem Gelände wohnen, wächst in der Aufbauwoche übrigens mit jedem Tag: Immer wieder trudeln weitere OTs mit Koffer, Rucksack, Schlafsack & Isomatte im Lindental ein und werden freudig von den bereits werkelnden „Kollegen“ begrüßt.
Es gibt viel zu tun, jede helfende Hand zählt: So muss das normale Mobiliar des Waldheims in Container ausgelagert, die Bänke und Tische wie Gruppenregale und Schränke des Ferienwaldheim aufgebaut werden. Für die Einrichtung der Räume und das Gelände des Waldheims ergibt sich eine Mischung aus „Reparatur & Neubau“. Z.B. wurden heuer einige Bauwagen der „Wagenburg“ beschädigt bzw. Scheiben eingeworfen, was eine Reparatur erfordert, für den Abenteuerspielplatz „ABI“ wird neues Holz angeliefert. Auf den verschiedenen Spielplätzen des Gelände muss das Unkraut gejätet und der Sand gesiebt wie ausgetauscht werden.
Besonders beliebt ist bei den Kindern der Brunnen – hier müssen die Leitungen durchgeputzt werden. „Das Gesundheitsamt kommt vorbei und nimmt Wasserproben. Ohne Genehmigung von denen dürfen wir den Brunnen nicht betreiben“, so Guido Dieringer, der neue Ferienwaldheimleiter im Lindental. Das Theaterhaus Stuttgart hat dem Waldheim in diesem Jahr ein altes Bühnenbild geschenkt – was aus den Holzbrettern und Türfassungen alles werden wird, das wissen bislang nur die OTs.
Erde an Waldheim, bitte kommen!
Wer auch immer in den Waldheimwochen Kontakt zu den OTs aufnehmen will, kann dies in der Regel nur als „Waldheimkind“ tun. Denn die „Onkels und Tanten“ sind in ihrer „fünften Jahreszeit“ in „ihrer Welt freiwillig gefangen“. Wer Aufbauwoche, Eröffnungsfest, Freizeiten und Abendveranstaltungen mitmacht, hat so gut wie kein Privatleben oder Zeit, denn abends fällt man mehr tot als lebendig in den Schlafsack oder ins Bett daheim. „Von der Welt draußen bekommen wir in diesen Wochen so gut wie nichts mit“, so Sven und Philipp. Es bliebe meist nur morgens ein paar Minuten Zeit, mal kurz einen Blick aufs Smartphone und ein paar einschlägige Nachrichtenapps und ihre Schlagzeilen zu werfen. Im Vergleich zu älteren OT-Generationen ist das allerdings schon mehr eine „Reizüberflutung“ an News. „Zu meiner Zeit als OT waren wir hier wie ein einsamer Planet weit weg von allem. Da gab es keine Handys, nur Mundpropaganda durch Kinder und deren Eltern, um zu erfahren, was draußen in der Welt los ist!“, erinnert sich Dieringer an seine Zeit als OT.
Überthemen wechseln jedes Jahr
2018 war das „Überthema“ der Freizeiten die „Natur“, in 2019 gibt es nicht nur ein komplett neues Tageskonzept, hinzu kommt als „Überthema“ in Anlehnung an die internationale „Fridays for Future“ Kampagne (siehe fridaysforfuture.de) das „Waldheim for Future“ und „Upcycling“ – aus Alt mach neu“: „Wir bekommen sowohl in der ersten wie in der zweiten Freizeit Besuch vom Repair Café aus Ditzingen, die kommen in voller Montur“, weiss Dieringer schmunzelnd. Denn die Kinder dürfen in diesem Jahr kaputt gegangenes Lieblingsspielzeug, aber auch defekte technische Dinge mitbringen. Das Repair Café-Team wird sich dieser annehmen und versuchen, sie zu reparieren. Trotz dieser Überthemen kommen Klassiker aber nicht zu kurz: „Wir gehen natürlich bei sommerlichen Wetter ins Freibad wie an den Wasserspielplatz am Killesberg, besuchen des Maislabyrinth, die Freiwillige Feuerwehr Weilimdorf wird in Augenschein genommen – fehlen darf auch nicht der Ausflug in die Stuttgarter Innenstadt. Hinzu kommen die Abende mit den Eltern sowie für jede Freizeit das abendliche Abschlussfest samt großem Feuer auf dem abgestoppelten Feld gegenüber dem Waldheim“, so Dieringer.
Übrigens: 10 Monate Vorbereitung und fünf Tage Aufbauwoche werden am Samstag nach der zweiten Freizeit, heuer als am 31. August, binnen weniger Stunden zurückgebaut und das Waldheim wieder in den „Originalzustand“ zurückversetzt. „Das geschieht in der Regel wie in Trance“, grinst Sven – dann an jenem Samstag fallen alle OTs nach diesem Knochenjob in eine Art „Winterschlaf“ – zumindest einschließlich dem folgenden Sonntag. Denn am Montag müssen einige bereits wieder bei ihrem Arbeitgeber „auf der Matte“ stehen – und wer warum auch immer noch Urlaub oder Überstunden hat, fährt erstmal zum Abschalten in den Urlaub.
Text: KGR Hans-Martin Goede, Fotos: Hans-Martin Goede, Sven Mahnkopf